#26 – Reto Anneler und Toni Bechtold

Shownotes

Reto Anneler ist Lead-Altsaxofonist und Toni Bechtold spielt das erste Tenorsaxofon beim Zurich Jazz Orchestra. Doch die beiden sind viel mehr als Saxofonisten: Heutzutage sind Doublings gefragt von Sopransaxofon, über Bassklarinette bis hin zum Piccolo. Tatsächlich gibt es Konzerte, bei denen Reto Anneler und Toni Bechtold ihr Saxofon gar nicht erst aus dem Koffer nehmen, weil sie stattdessen eben Klarinette oder Querflöte spielen.

Wenn Instrumentalisten und Instrumentalistinnen ein zweites Instrument spielen, nennt man dies Doublings. Das ist eine alte Tradition, die schon zu Bachs Zeiten praktiziert wurde. Im 20. Jahrhundert gab es aufgrund von Fernsehshows, Filmmusik, Musicalshows und Tanzorchester einen grossen Markt für Holzblasinstrument-Doublers. Diese Spezialisten waren jedoch selten gute Improvisatoren und Solisten. Daher war es damals in Big Bands üblich, dass nur die Klarinette gedoppelt wurde. Heute sieht das ganz anders aus: Ein Alt-Saxofonist soll heute gleichzeitig auch noch Sopransaxofonist, Flötist, Piccoloflötist, Altflötist und Klarinettist sein. Ein Tenor-Saxofonist soll ebenfalls Bassklarinette oder gar Tubax oder Contraaltklarinette beherrschen. Tatsächlich gab es bereits Konzerte, bei denen Reto Anneler und Toni Bechtold ihr Hauptinstrument gar nicht erst aus dem Koffer nahmen und stattdessen Doublings spielten.

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00:00:00: Zurich Jazz Talks: Die Podcast-Serie des Zurich Jazz Orchestra. Heute mit Reto Anneler und Toni Bechtold. Reto Anneler spielt beim ZJO Lead-Altsax.

00:00:10: Der Spezialist für Holzblasinstrumente spielt in  diversen Formationen und alle möglichen Stile.  

00:00:16: Tenorsaxofonist Toni Bechtold ist auf inzwischen  über 30 Tonträgern zu hören und forscht in Luzern  

00:00:22: und in Birmingham zum Thema Musik. Das Interview für Susanne Loacker, für den Podcast zuständig ist Pablo Faccinetto, die Leitung hat Bettina Uhlmann.

00:00:33: Wir sprechen heute mit Reto und Toni, Saxofonisten unter sich, und ich freue mich sehr, dass ihr heute da seid.

00:00:41: Vielen Dank fürs Kommen. Wir wechseln wie immer auf Hochdeutsch, damit uns möglichst viele Leute verstehen. 

00:00:47: Toni, erzähl doch mal, was ist die Rolle  des Saxofons in der Big Band?

00:00:52: Also, wenn wir von so einer traditionellen Big-Band-Musik ausgehen  wie Count Basie oder noch früher, dann ist Saxofon  

00:00:58: für mich einfach da, wo Wärme und voller Klang ins  Spiel kommt. Also im Gegensatz zu den Trompeten  

00:01:03: oder der Rhythmusgruppe, die oft sehr perkussiv, fanfarenmässig spielen, sind wir eigentlich die, die  

00:01:08: vielleicht wie die Streicher im klassischen  Orchester eigentlich so eine schöne warme  

00:01:12: Fläche bieten. Und natürlich dann im Solo, wenn es  schnell sein muss, sind auch meistens wir dran, oder?  

00:01:17: Das stimmt, ja. Aber die Rolle hat sich schon ein  bisschen geändert. Also der Übergang zwischen  

00:01:23: Big Band und dann als die Big Bands dann plötzlich  Jazz Orchestra hiessen, wurde anders komponiert,  

00:01:30: wurde auch für Doublings komponiert, wurde mehr  linear komponiert und die Saxofone hatten mehr

00:01:35: auch eine - ja, genau - bisschen eine andere Rolle als ganz früher. Genau, also man spielt  

00:01:41: ja sicher auch damit, dass man die typischen Rollen  ablegt und was Neues probiert. Gerade auch jemand  

00:01:46: wie Ed Partyka, er macht es ja sehr gern und hat  auch gern mal Programme, wo wir eigentlich gar  

00:01:50: nicht Saxofon spielen. Also, wo es im Koffer bleibt, komplett. Stimmt.

00:01:55: Das war wahrscheinlich aber nicht die Motivation für euch beide, Saxofonisten  in der Big Band zu werden, oder, Toni?

00:02:02: Weniger. Ich spiele sehr gerne Klarinette, ich spiele sehr gern  Querflöte, aber ich spiele noch lieber Saxofon - das  

00:02:08: ist einfach ein Fakt und ich glaube, das geht uns allen so. Es geht allen so. Als ich zum ersten Mal  

00:02:13: in der Big Band gesubt habe, also ausgeholfen habe  für einen Kollegen, haben sie gefragt, ob ich eine  

00:02:19: eine Flöte besitze und dann habe ich gesagt, ja ich  besitze schon eine Flöte, ich kann sie nicht spielen.  

00:02:23: "Ah ja, komm, ja das reicht, das reicht. Komm  spielen!" Und dann habe ichs so gelernt, eigentlich. Und Klarinette auch,

00:02:29: die habe ich gar nicht gespielt, musste dann eine kaufen - und ja. Das Gefühl ist manchmal einfach so als

00:02:35: würde man mit der linken Hand einen Text schreiben  müssen. Also, ich weiss genau, was ich schreiben  

00:02:39: möchte und ich kann den Satz gut formulieren und  vielleicht auch schöne Worte einbauen, aber bei der  

00:02:43: Umsetzung haperts dann irgendwo. Oder Hochdeutsch sprechen im Podcast. Das ist jetzt etwa ähnlich, finde ich.

00:02:51: Auf das können wir jetzt nicht näher eingehen, sondern sprechen brav Hochdeutsch weiter. Ihr spielt ja beide nicht nur unterschiedliche  

00:02:57: Blasinstrumente, sondern auch unterschiedliche  Stilrichtungen. Ich stelle mir das recht schwierig  

00:03:02: vor, wie man da so wie verschiedene Hüte aufhat und die dann relativ schnell wechseln muss.

00:03:07: Wie macht man das konkret, Reto? Ja, ich glaube, das beginnt damit, dass man sich die Stile anhört und sich  

00:03:15: damit auseinandersetzt. Aber ich kann auch nicht  alles gleich gut spielen, das muss ich auch zugeben.  

00:03:20: Also, wenn ich jetzt im Hallenstadion ein ein Pop-Solo spielen muss, das ganz klischemässig  

00:03:27: klingen muss, dann kann ich das nicht gleich  gut wie ein Spezialist für diese Musik. Deswegen:  

00:03:33: Ich spiele alles gerne, ich mache alles gerne,  ich höre mir alles gerne an und dann ja, mache ich es  

00:03:38: so gut wie ich es kann. Aber es stimmt, es ist nicht  einfach, immer die Stilrichtung zu wechseln.

00:03:44: Ja, man lernt ja sehr viel dann durch Imitation,  indem man sich Vorbilder nimmt und versucht  

00:03:49: so zu spielen, wie die und wenn halt da jetzt kein  Pop-Solo dabei ist. dann hat es geringere Priorität  

00:03:54: als halt vielleicht jemand, der genauso spielt,  wie man selber eigentlich spielen möchte, wenn  

00:03:58: man vielleicht mit seiner eigenen Band spielt. Aber  klar, bei so Big-Band-Sachen gibts halt Vorbilder.  

00:04:02: Wenn wir ein zweimal im Jahr Count Basie oder Duke Ellington spielen, dann müssen wir halt versuchen, so zu  

00:04:07: spielen wie dort. Aber ich glaube, das fällt uns in  den Fällen ganz leicht, weil wir die Musik alle gut  

00:04:11: finden und gern hören. Dann ist es wie eine  Herausforderung, so zu spielen wie die Leute damals,  

00:04:16: aber es macht Spass, es wird belohnt. Es  ist nicht so, wie wenn ich jetzt - keine Ahnung was - 20er-Jahre-Musik  

00:04:24: spielen müsste, die ich nicht so  gern höre. Da würde ich mich viel schwieriger tun,

00:04:28: das wirklich so zu spielen, wie es sein müsste.  A propos Pop-Solo: Saxofon ist ja ein Instrument,  

00:04:35: das ganz viele Leute anzieht, die dann auch  sehr viel Image transportieren. Wie gut sie  

00:04:40: als Musikerinnen oder Musiker sind, möchte  ich ja nicht beurteilen. Was haben Leute, wie  

00:04:45: eine Candy Dulfer oder aber auch ein Bill Clinton  zum Image des Saxofonisten beigetragen, Toni?

00:04:52: Das muss ich beantworten, okay. Ja gerne, wenn du eine Antwort hast, du kannst aber passen.

00:04:56: Ja, also, ich glaube einfach das war eine Zeit lang... war das Saxofon einfach sehr cool in gewisser Weise und ich meine, es ist ja bis heute, auch jetzt auch wenn

00:05:09: Jazz vielleicht nicht so cool ist, ist es immer noch das Bild für Jazz, wenn man irgendwo ein Logo sieht mit Jazz, dann ist so oft ein Saxofon da.

00:05:15: Sehe ich Werbung, dann gibts irgendwelche Leute, die ein Saxofon in der  Hand halten, aber irgendwas falsch zusammengbaut  

00:05:20: ist, weil sie keine Saxofonisten sind, das gibts  die ganze Zeit und ich glaube, sie haben einfach  

00:05:24: geholfen, diesen Coolness-Faktor vom Saxofon in  die Welt zu tragen, ähnlich wie das vielleicht bei  

00:05:28: der E-Gitarre.. gibt es ja auch so, diesen Coolness-Faktor, einfach ist er da noch da. Beim Saxofon geht er vielleicht langsam zurück.

00:05:37: Ich muss schon zugeben, das war  zu Beginn war das schon meine Einstiegsdroge  

00:05:41: ein bisschen. Also, ich habe so Candy Dulfer oder  Maceo Parker und diese.. das habe ich mir gerne  

00:05:47: angehört. Die können auch was. Die spielen echt gut  und ich finde das überhaupt nicht irgendwie ja..  

00:05:53: Ich finde das nichts Negatives. Und dann bin  ich weitergegangen, habe mir andere Saxofonist*innen

00:06:00: ausgecheckt und ja, genau. Woah, das war schlecht. Also meine erste Saxofon-Platte oder erste Platte überhaupt  

00:06:08: war ja von Steffen Schorn (ach so). Da mit 10 Jahren habe ich eine Kölner-Saxophon-Mafia-CD gekauft,  

00:06:14: als ich beim Konzert war. Darum war mein Einstieg  anders, aber als Teenager fand ich dann schon auch  

00:06:18: Maceo Parker eigentlich cooler als den Steffen Schorn. Das war einfach so.

00:06:24: Und was würdet ihr denn heute sagen, wie cool ihr seid, Reto? Ich glaube extrem uncool. Also nein, leider sind die Blasinstrumente

00:06:35: im Allgemeinen... ich glaub das Saxofon halt auch - es wollen weniger Leute spielen. Es ist  

00:06:42: nicht mehr so in, wie es mal war und jetzt.. ich habe  auch Kinder und die finden jetzt das nicht

00:06:48: speziell cool. Wahscheinlich eben im Gegenteil, was meinst du? Ich bilde mir da nichts ein.

00:06:55: Also, ich sehe mich jetzt persönlich auch nicht als wahnsinnig  hippen Menschen. Das ist so. Und wenn ich jetzt  

00:06:59: denke, wie populär das Saxofon ist, dann sehe ich  einfach bei meinen Schülern, dass die eigentlich  

00:07:04: lieber alte Musik spielen, wo das  Saxofon noch eine grössere Rolle hatte, als dass  

00:07:08: sie jetzt unbedingt die Chart-Hits der Zeit spielen  müssen auf dem Saxofon. Also, es scheint

00:07:14: sich was geändert zu haben. (mhm) Also Qualität vor Coolness. Es wäre eigentlich eine schöne Zukunftsaussicht.

00:07:20: Ich bedanke mich sehr herzlich für  eure Antworten und fürs Gespräch.

00:07:24: Gerne, danke dir.

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